Samstag: (30.05.2020)
Was für ein toller, anstrengender und fordernder Tag im Taunus. Geweckt wurde ich von schönsten Sonnenschein und dem Gezwitscher der Vögel. Zeitig hatte ich am Morgen meine Sachen zusammen gepackt und mein Fahrrad beladen. Schnell hatte ich das historische Weilburg erreicht, welches sowohl für Autos, die Eisenbahn und für Boote einen Tunnel zu bieten hat. Heute war das Terrain schon mehr nach meinem Gusto, viele Höhenmeter, da hatte Jesko von Werthern nicht zuviel versprochen und weniger Asphalt gab es auch. Mit der Zivilisation kam ich nur beim Einkaufen in Kontakt, was mir auch voll auf genug war, da Einkaufen in Coronazeiten nur stressig ist. Jeder Laden hat eine andere Regelung und die Leute sind völlig elektrisch!Um auf den großen Feldberg zu gelangen, verließ ich den Track, den diesen konnte ich mir nicht entgehen lassen. Er ist schließlich mit 880 Meter, der höchste Berg im Taunus. Das wäre ja wie ein Besuch in Hamburg und nicht im Miniatur Wunderland gewesen zu sein. Mit dem Pferdskopf ging es nochmal richtig hoch hinaus auf 634 Meter, wo es auch noch einen 34 Meter hohen Turm gab. Nicht nur die Berge sind im Taunus höher, sondern auch die Türme. Aber wir wissen ja alle, die Länge ist nicht entscheidend! Der Tag bot auch reichlich Gelegenheit zum Nachdenken, etwas das gerade beim Radfahren bei mir sehr gut funktioniert. Vor allem konstruktiv und nach vorne Denken und nicht so dieses destruktive Gedankenkino, welches mich in der Enge des Alltags oft überfällt.Gerade die letzten 1 1/2 Wochen ließ ich nochmal Revue passieren, wo ich mal wieder sehr in meinen Gedankenspiralen gefangen war. Mein Innen und Außen passte nicht gut zusammen, meine innere Anspannung war sehr hoch und auch mein Level an Angst nicht wirklich angenehm. Nach dem langen Hoch und einer sehr stabilen Zeit, sah es ziemlich nach dem Anfang einer Krise aus. Gerade das Außen, dass im hier und jetzt sein, bereiten mir dann große Schwierigkeiten, weil es sich anfühlt wie hinter Glas zu sitzen, so als wäre ich gar nicht präsent, alles wie in Watte.In umgekehrter Richtung stürmen alle Eindrücke und Geräusche völlig ungefiltert auf mich ein und werden schnell zu einem völlig überforderten Bombademon. In diese Richtung gibt es dann kaum einen Filter oder Abgrenzung für mich.Dann einen Cut machen, mich versuchen aus der Situation zu ziehen und nicht mit noch mehr Aktion und Gewusel versuchen zu kompensieren und wieder ins Gleichgewicht zu kommen, ist dann ganz wichtig. Wenn es ganz schlimm ist, einfach mal die Decke über den Kopf ziehen, die Welt aussperren und versuchen zu schlafen. Meisten ist das Gewitter dann vorübergezogen und alles nicht mehr so gefährlich. Leider ist dies nicht immer so möglich, dann heißt es auch oft einfach mal aushalten oder schauen wie ich sonst einen Break hin bekomme. Mittlerweile bin ich da ganz gut darin geworden und habe so meine Skills und Fähigkeiten entwickelt, um wieder runter, zu mir und in die Welt zu kommen. Dies ist aber ein Thema für sich.Den genauen Auslöser für diese komische Woche weiß ich selber nicht so genau. Das ist wohl wie bei jedem anderen, mal hat man eine bessere und mal eine schlechtere Woche, ohne einen ersichtlichen Grund. Zur Zeit habe ich mich um jede Menge Kleinscheiß zu kümmern, welcher einfach zum Leben gehört. Solche Dinge wie Steuererklärung, Reparatur meines Autos und so weiter, welche zu dem zusätzlichen Alltag kommen, den jeder zu bewältigen hat. Dinge die keiner wirklich gerne macht, ohne die es aber trotzdem nicht geht. Wobei mir wohl am meisten zu schaffen macht, dass alles wieder hochgefahren wird und wir zur Normalität zurückkehren. Vor allem so, als wäre nichts gewesen, wir machen einfach weiter wie vorher. Alle wieder rein in das Hamsterrad, dass sich jetzt noch schneller drehen muss, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und wieder voll auf Wachstumskurs zu gelangen.Auch das Pflegepersonal und die Mitarbeiter im Einzelhandel sind wieder vergessen; für die wurde ja geklatscht, dass reicht ja dann mal. Auf solche Themen wie Rettung der Lufthansa, wie sich die Automobilindustrie aufführt oder was bestimmte Medien im Moment veranstalten, möchte ich gar nicht weiter drauf eingehen und thematisieren. Vieles widert mich einfach nur noch an und macht mich sprachlos, wie Lügen und Dreistigkeit oft siegen. Dabei wäre es eine Chance für Veränderung gewesen oder einfach mal “etwas anders machen”. Veränderung findet nicht einfach statt, sie ist ein Prozess des Ausprobierens und mal einen anderen Weg beschreiten.Denn zu dem zurück was ich hatte, wo ich herkomme, kann ich immer. Bloß will man da ja eigentlich nicht mehr sein oder hinkommen, sondern etwas Verändern. Zum Beispiel wie bei mir gesund werden/bleiben oder zumindest auf Dauer stabil, um mal wieder zurück auf mich zu kommen.Denn gerade Veränderung kostet viel Kraft, löst Angst aus und zeigt selten direkt Wirkung und Erfolg. Es wird oft erst einmal schlimmer und noch komplizierter. Eine Therapeutin sagte in einer Klinik mal zu mir: “Ob sie essen oder nicht, es geht ihnen so oder so schlecht, Herr Loosen. Aber wenn sie essen sind sie wenigstens gesund!” Wobei sich gesund auf mein Gewicht und körperliche Verfassung bezog. Die Psyche benötigt meist viel länger zum Heilen oder für eine Veränderung.Die Frau sollte allerdings recht behalten, auch wenn ich in diesem Moment dachte: “Du blöde Kuh, du hast gut reden!” Und nach einem holprigen Start den wir hatten, hat sie dann vor allem vieles ganz anders mit mir gemacht. Oft genau das Gegenteil von dem, wie ich es in Kliniken gewohnt war und eigentlich mit Klientel wie mir “umgegangen” wird. Durch dieses “anders machen” und vor allem mir das Gefühl zu geben, sie vertraut mir, dadurch hat sie mich völlig bekommen und mich dazu gebracht mich einzulassen.Allerdings als sie danach in meinem Abschlussgespräch fragte, warum sie so vieles andere gemacht hat und nicht so typisch Lehrbuch mäßig, hat sie geantwortet: “Herr Loosen, wenn ich ehrlich bin, wussten wir auch nicht was wir mit ihnen machen sollten, da sie psychisch und physisch in so einer schlechten Verfassung waren, da haben wir sie einfach mal machen lassen und geschaut was passiert!” Da habe ich dann erst einmal geschluckt und gedacht: “Manchmal muss man einfach Glück haben!”Viele dieser Sätze und Ereignisse habe ich nicht vergessen und gerade in Zeiten wo es mir nicht so gut geht, wie in dieser Woche, ist es unheimlich wichtig, mich wieder an solche Dinge zu erinnern und sie mir ins Gedächtnis zu rufen. Wobei es auch einige “Spuren” an meinem Körper gibt, welche mir ständige Mahnung sind, wo ich nie wieder hinkommen möchte. Gerade diese automatisierten Gedanken oder Glaubenssätze, welcher jeder im Kopf trägt, umzuprogrammieren ist ein wichtiger Schlüssel. Schreibt sie euch auf, eure negativen Glaubenssätze, textet sie um und hängt sie irgendwo auf, wo ihr oft am Tag hinschaut und lest sie euch dann immer laut vor. Klingt albern, ich weiß, aber vielleicht hilft es! Ich wünsche euch noch einen tollen Sommerabend, genießt das tolle Wetter und wünsche euch schon mal erholsame Pfingsten.
LG Holger