Sonntag: 28.06.2020:
Gefühlt war das heute ein Herbsttag in der Eifel. Tiefhängende, dunkle Wolken und es stürmte beachtlich. Zum Glück hatte ich fast den ganzen Tag nur Wind von hinten, wodurch ich flott voran kam, auch vom Regen blieb ich verschont!
Kurz nach meinem Start kam ich an einer weiteren Hütte vorbei, wo Jugendliche ihren Schulabschluss am feiern waren. Alle trugen T-Shirts mit Abschlussklasse 10b. Auch ich war mal in der 10b, habe dort meinen Schulabschluss absolviert und ebenfalls auf so einer ähnlichen Hütte gefeiert. Allerdings liegt dies jetzt genau dreißig Jahre zurück! Bei dem Gedanken musste ich mal schlucken, habe mich mal kurz geschüttelt und ihn direkt verworfen. Daraus wäre nur so eine “hätte hätte Fahrradkette” Gedankenspirale in meinem Kopf geworden, welche nicht besonder konstruktiv und hilfreich gewesen wäre.
Lieber setze ich meinen Weg auf dem Jakobsweg fort und in Wittlich gab es endlich die Chance auf ein Frühstück! Frisch gestärkt ging es auf verschiedenen Tracks des Eifel Gravellers weiter. Es ist schon von Vorteil, auf so ein großes und weitverzweigtes Netz zurückgreifen zu können.
Mein Weg führte mich über Viadukte, durch zahlreiche Tunnels, vorbei an verschiedenen Vulkanmaaren, durch einsame Täler und weite Blicke über die Eifel, bis ich wieder zuhause ankam.
Damit ging ein weiteres tolles Bikepackingwochenende zu Ende, welches ich dringend nötig hatte.
Mal wieder raus kommen, ein bißchen einsam durch die Natur streifen, meinen Kopf sortieren und mal wieder richtig durchatmen. Denn die Magen-Darm Grippe der letzten Woche hat mir mal wieder gezeigt, wie dünn das Eis in Bezug auf mein Körpergefühl, Essverhalten und psychisches Gleichgewicht doch ist.
Denn gerade durch Magen-Darm sind 2 bis 3 Kilo an Körpergewicht direkt verloren. Dieses Gefühl abzunehmen, dünner zu werden, fühlt sich leider immer noch scheiße geil an für mich, auch wenn ich genau weiß wo das hinführt. Das ist derselbe Mechanismus wie beim Alkoholiker der Alkohol oder beim Raucher die Zigaretten.
Auch hat man während so einer Geschichte keinen Hunger oder gar Appetit auf irgendetwas. Dadurch kommt dar mühevoll antrainierte Essensplan völlig durcheinander. Die Gefahr ist sehr groß, nicht wieder zu seinem regulären Essverhalten zurück zu kehren, sondern hier was wegfallen lassen, da was austauschen und Ruck Zuck fehlt wieder eine ganze Mahlzeit.
Auch bricht in dieser Zeit die gewohnte Struktur weg, es ist sogar noch schlimmer, weil man “nur” krank auf der Couch rumliegt. Nicht im Stande ist etwas zu leisten oder sich um die alltäglichen Aufgaben zu kümmern.
Dieses alles registriert der essgestörte Teil in meinem Kopf direkt und nennen wir es mal die Essstörungsstimme, fängt direkt an laut zu werden und der Kampf entbrennt.
Den einfach krank auf der Couch liegen, passt dieser Stimme gar nicht. Dann ist man faul, dann wird man dick, bekommt seinen Alltag und sein Leben nicht auf die Reihe und so einige andere unschöne Dinge schreit sie. Es entsteht ganz schnell eine Spirale der Abwertung, in dessen Verlauf auch einige andere Symptome nicht lange auf sich warten lassen. Das Gefühl der inneren Leere und Zerrissenheit. Der Halt in die eigene Person geht völlig verloren, die eigene Identität löst sich auf und eine Angst vor allem und jedem macht sich breit.
Wie verlockend ist es jetzt der Stimme im Kopf nachzugeben, die Kontrolle und Halt durch das Einsparen von Kalorien und das Verlieren von Kilos suggeriert. Wenn ich schon nicht mein Leben und die äußeren Umstände kontrollieren kann, dann wenigstens mich und meinen Körper.
Dabei ist diese Kontrolle Illusion, denn einzig die Essstörung bestimmt und kontrolliert dann das Leben. Sie treibt einen immer weiter in die totale Isolation, lässt einen immer zwanghafter und paranoider werden.
Sie bügelt alles an Emotionen und Gefühlen platt, bis nur noch eine sehr dünne und ziemlich tote Hülle übrig bleibt. Selber klar denken ist kaum noch möglich, das bisschen Energie benötigt der Körper für seine Grundfunktionen aufrecht zu erhalten.
Dabei steckt hinter der Essstörung nur ganz viel Angst und Unsicherheit. Die Angst nicht gut genug zu sein, zu versagen, Erwartungen nicht gerecht werden. Die Unsicherheit, wer man ist oder was will ich wirklich.
Durch die Essstörung wird versucht inneren Halt und eine Identität zu finden, um irgendwie durch sein Leben zu kommen. Die Leere und Langeweile nicht zu empfinden, diese innere Zerrissenheit auszuhalten, indem alle Gefühle und Emotionen abgetötet werden.
Der Weg hinaus, ist wie bei jeder anderen Sucht, wesentlich schwieriger und langwieriger, wie der hinein. Genesung oder gar Heilung ein harter und langer Prozess! Und so ganz geht diese Stimme im Kopf wohl nie mehr weg, sie wird immer auf ihre Chance lauern und ein Teil von mir bleiben.
Umso wichtiger ist es die Mechanismen zu verstehen und seine Strategien zu haben, um nicht wieder hinein zu rutschen.
Wünsche euch einen guten Start in die Woche und passt auf euch auf!