Samstag: (11.07.2020)
Geweckt wurde ich heute Morgen von strahlendem Sonnenschein, wobei es typisch für die Ardennen recht frisch war. Geschlafen hatte ich nicht sonderlich gut, in der Nacht lag ich lange wach und als ich eingeschlafen war, kamen meine üblichen Alpträume.
Dadurch war ich am Morgen etwas gerädert, ließ das Packen und Losfahren langsam angehen. Nachdem ich aber die ersten Rampen erklommen, ein paar weite Blicke über die Ardennen genossen und durch ein paar Täler gerollt war, ging es mir wieder gut, ich freute mich auf ein Frühstück und vor allem auf Kaffee. Diesen bekam ich dann auch in St. Vith, welches schon oft Ziel meiner Touren war und ich bestens mit den Einkaufsmöglichkeiten vertraut bin. Danach ging es wieder durch endlose Wälder, malerische Täler und mit vielen Höhenmeter nach Malmedy. Auch Malmedy ist mir bestens vertraut und bot sich für eine Pause an. Stand doch danach der Anstieg zum Signal de Botrange auf dem Programm. Er ist der höchste Berg von Belgien und mit dem Hohen Venn, ein ganz besonderer, fast magischer Ort. Heute empfing mich dort auch mal kein Regen, Schnee oder Hagel, sogar die Temperatur war angenehm.
Kurz hinter dem Signal de Botrange traf ich meinen Freund Guido Dreesen. Er war mit Jan Claes zum Rurtalstausee unterwegs, um ebenfalls eine schöne Bikepackingtour zu unternehmen. Darüber auch Jan zu treffen habe ich mich sehr gefreut. War er doch im letzten Jahr der 4. Finisher beim Eifel Graveller und hat sich auch für die Ausgabe 2020 wieder angemeldet.
Leider hatten wir nicht viel Zeit zum Quatschen, da am Lag de Gilippe schon Lutz Malchus auf mich warte, um mich ein Stück zu begleiten. Mit ihm drehte ich eine schöne Runde durch die Ardennen, bevor wir uns verabschiedeten und ich mich zum 2. Mal an diesem Tag aufmachte den Signal de Betronge zu erklimmen. Hier gibt es mal ein verdientes Abendessen, bevor ich mich wieder auf den Track des Stonman Arduenna begebe, um wieder Richtung Prüm zu radeln und mir eine Hütte für die Nacht zu suchen.
Was für ein toller Tag! Vor allem tut das gut wieder unterwegs und aufgebrochen zu sein, voran zu kommen, neue Wege und Strecken zu entdecken. Kilometer um Kilometer durch die Natur zu fahren, tief und frei durchzuatmen, meinen Rhythmus zu spüren, eins mit mir zu werden und bei mir anzukommen. Wenn alle (Selbst)zweifel, Befürchtungen und die täglichen Sorgen abfallen, ich mich einfach nur im Hier und Jetzt befinde, konstruktiv nach vorne blicke und meinen Weg “fahre”.
Das ist ähnlich wie im Real Life, ist eine Entscheidung erst mal gefallen und ein neues Ziel anvisiert, hat man sich auf den Weg gemacht, läuft es oft wie von selber. Vor allem wenn sich erste Erfolge einstellen und der Weg in die richtige Richtung geht.
Vielleicht soll dies einfach mein Lebensmodell sein, ständig auf den Weg, suchend und nie so wirklich ankommend. Denn irgendwie bedeutet ankommen für mich, am Ende angelangt zu sein. Nicht mehr neugierig auf neues, dies zu entdecken und daraus zu lernen.
Es bedeutet vor allem satt zu sein, wo sich wieder der Kreis zu meiner Essstörung schließt, welche ich vor vielen Jahren entwickelt und solange mit gekämpft habe und wohl immer werde. Satt hatte früher für mich die Assoziation von Stillstand, Schwere und Unbeweglichkeit. Genau wie die Waage, welche der absolute Diktator in meinen Leben war und von der so ziemlich meine ganze Stimmung und Verfassung abhing. Auch diese durfte nie stillstehen oder sogar nach oben zeigen, der totale Weltuntergang. Es gab nur eine Richtung, nach unten.
Dabei war der ständige Hunger, dieses niemals satt sein, nur der Ausdruck einer Suche nach Kontrolle, Anerkennung und wahrgenommen werden. Es ist ein Märchen, Magersüchtige hätten keinen Hunger und wollen keine Nahrung. Im Gegenteil, das ganze Denken dreht sich nur um Mahlzeiten und Lebensmittel. Den dieses Wort “Lebensmittel” drückt alles aus. Es sind Mittel zum Leben!
Auch wahrgenommen werden kann nur jemand, der nicht ständig weniger wird, sondern Platz und Raum einnimmt.
Es hat sehr lange gedauert, die Mechanismen zu erkennen und diese zu sehen. Wobei vom Erkennen bis zum Verstehen, diese auch zu akzeptieren und sich einzugestehen, es nochmal seine Zeit gedauert hat. Es gibt kaum einen schmerzhafteren Prozess wie Einsicht!
Denn viele Dinge, welche mir uns antun, sind nicht wirklich gut für uns. Sei es das Rauchen, zuviel Alkohol, zu viel Fett und Zucker in unserer Ernährung, zu wenig Bewegung und was sonst alles noch. Dem sind wir uns auch völlig bewusst, allerdings ist der Mensch auch Meister im Schönreden, Verdrängen und dem Vergleichen mit anderen.
Es hat mich viele Umwege gekostet, wenigstens ein bißchen zu verstehen wer ich bin und was ich wirklich will. Mittlerweile bin ich auf einem ganz guten Weg und hoffe immer weiter dahin zu kommen, was ich mir so wünsche und vorstelle.
Dabei musste ich auch lernen, nichts geht von heute auf Morgen und die Zauberfee gibt es auch nicht. Vieles ist harte Arbeit, ein langer Prozess und geht nur Schritt für Schritt. Manchmal geht es auch wieder einen wieder einen Schritt zurück. Sei es, weil ich zu schnell ging oder nochmal zurück in die trügerische Sicherheit und Kontrolle wollte? Das ist auch gar nicht schlimm, sofern ma sich wieder schnellstmöglich auf den Weg macht und zwar den nach vorne.
Es gibt auch nicht die Musterlösung oder den Masterplan, den ich immer gesucht habe. Vor allem wird den mir kein anderer geben oder erzählen können. Das ist meine Arbeit, dieses muss ich selber rausfinden und den Weg gehen.
Klar, ich hatte Hilfe, sogar eine ganze Menge, auch heute noch. Diese mir zu suchen, anzunehmen und mich einzulassen, musste ich auch erst einmal lernen und war ein harter Prozess. Aber den Willen und die Verantwortung, muss ich selber aufbringen, übernehmen und leisten, die kann mit keiner abnehmen.
Wie sagte meine Therapeutin in meiner ersten Klinik: “Wir machen nur Angebote, Herr Loosen, ob sie die annehmen oder nutzen ist ihre Sache!” Getreu dem Motto des Eifel Gravellers: “Es ist das, was du daraus machst!”
2 Comments
Jean-Michel Fox
Hallo,
danke für diesen Bericht.
ich habe vor, den Stoneman Arduenna auch mit einem „Gravelbike“ (bzw. „Crosser“) zu fahren (einfach weil ich kein anderes Fahrrad habe).
Ich lese, dass Du 2x 100 Meter wegen Gepäck geschoben hast.
Ich werde wohl leicht unterwegs sein (d.h. nur was ich für den Tag brauche), meine Reifen sind 33mm Breit (mit dicken Noppen).
Deiner Erfahrung nach, ist dieses Setup auch tauglich ?
Im voraus dankend,
Jean-Mi
Holger Loosen
Hallo Jean-Mi,
es gab wenig Schiebepassagen aber einige Wurzeltrails. 33mm breite Reifen finde ich eigentlich zu schmal für den Arduenna. Auf meinem Gravelbike habe ich 40iger und es war vor allem trocken. Bei Nässe würde ich das 29er nehmen, gerade in den Ardennen wird es dann schnell sehr matschig.
LG
Holger