(Achtung Triggerwarnung, es kommt ein Abschnitt über selbst verletzendes Verhalten)
Das ich manchmal so ein innerer Druck und Selbsthass in mir verspürt habe, dass ich mir die Arme aufgeschnitten habe, um wieder zu mir zu kommen oder mich überhaupt mal wieder zu spüren. Das ich oft, wenn ich die Arme von anderen Menschen sehe und diese nicht mit Narben übersäht sind, mich Frage wie die mit sich klarkommen, ohne Ab und Zu das Verlangen zu haben, sich diese aufzuschneiden.
Wenn es mir gut geht, kann ich selber kaum verstehen, wie ich an diesen Punkt gelangen konnte, dass ich zu solchen drastischen Mitteln greifen musste, um diesen Zustand zu beenden oder wieder runter zu kommen.
Es hat auch ganz schön lange dauert und war ein hartes Stück Arbeit, bis ich alternative Strategien entwickelt habe oder mittlerweile früher bemerke, wenn ich in diese Spirale hingerate. Dabei ist immer noch oft mein erster Gedanke, wenn ich etwas falsch gemacht, nicht richtig hinbekomme, mich zu viel und zu laut fühle oder anders unter Druck gerate, ich schneide mir den Arm auf, sorgt für Entlastung und vor allem auch für Bestrafung, womit das Schneiden bei mir auch viel zu tun hat.
Vor allem ist dieses Verhalten wesentlich verbreiteter wie man denkt. In Deutschland sollen es 800.000 Menschen sein, die sich in irgendeiner Weise Selbstverletzen und unter Jugendlichen jeder siebte. Vor allem hat dieses Verhalten nichts mit Aufmerksamkeit bekommen zu tun, stellt auch in keinster Weise den Versuch dar, jemanden zu “erpressen” oder seinen Willen zu bekommen, wie oft behauptet oder angenommen wird, sondern ist ein Ventil für den seelischen Druck und das Leid, welches der Betroffene hat. Es ist das Unvermögen mit seinen Gefühlen umzugehen, diese wahrzunehmen und dient der Emotionsregulation.
Viele Betroffene schämen sich sehr dafür, halten sich für pervers und abartig, weil sie auf diese Weise ihre Gefühle kontrollieren, Spannungen abbauen oder sich damit bestrafen. Es wird versteckt und nur mit langen Ärmeln rumlaufen, auch wenn es 40ig Grad sind oder sich irgendwelche absurden Erklärungen für die Narben ausgedacht.
Ich habe selber unheimlich lange dafür benötigt, bis ich wieder mit T-Shirt in der Öffentlichkeit rumgelaufen bin und je nachdem wie es mir geht oder um was für eine Situation es sich handelt, fällt es mir heute noch schwer dies zu tun.
SVV ist ein absolutes Tabuthema, welches mit vielen Vorurteilen belastet ist und worüber nur wenige Menschen bescheid wissen, weil dieser Gedanke, sich selbst zu verletzen, völlig abwegig ist für “normale” Menschen und sie es sich nicht vorstellen können, dass man sich selber weh tut. Es trauen sich auch nur die wenigstens danach zu fragen, was mit meinen Armen passiert, sie denken ich hätte ich einen Unfall gehabt oder irgendein komisches Haustier. Fragt mich dann doch mal jemand und ich erzähle, dass ich das selber war, entsteht erst einmal eine lange Pause, wo ich genau sehe, wie die andere Person am denken und das Gehörte am verarbeiten ist.
Das Schlimmste ist, für dieses Verhalten auf Ablehnung oder Unverständnis zu stoßen. Das ein solches Verhalten nicht gut gefunden wird, ist völlig ok und auch richtig aber deswegen abgewertet oder komisch behandelt zu werden, ist eine ganz schlimme Erfahrung, die ich niemanden wünsche.
Vorwürfe für sein Verhalten macht sich der Betroffen selber schon genug, wertet sich dafür ab und fühlt sich wie ein Versager. Allerdings wirkt dieses Ventil von 0 auf 100 und holt einen innerhalb von kürzester Zeit wieder in die Realität zurück, macht handlungsfähig und bringt wieder Kontrolle. Bulimie oder besser gesagt ein Fressanfall funktioniert nach dem gleichen Schema und hat dieselbe Wirkung.
Allerdings folgt auf diesen entspannenden Zustand der Kater, genau wie bei Alkohol und es folgen Selbstvorwürfe, Abwertung und der Vorsatz, diesmal war es das letzte Mal und ab Morgen habe ich es im Griff!>
>Wenn in dieser Phase dann noch Unverständnis oder Vorhaltungen von außen kommen, wirkt dies doppelt und der nächste Rückfall und noch mehr Rückzug ist vorprogrammiert.>
Gerade Ärzte, auch wenn man das nicht meinen sollte, zeigen da großes Unverständnis für dieses Verhalten, wenn sie nicht vom Fach sind. Dies ist mir schon mehrmals so ergangen und vor allem ein Vorfall ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben, wo ich mal im Krankenhaus genäht werden musste, weil die Schnitte recht tief waren.>
Auch der weitverbreitete Irrglaube, bei SVV handele es sich um einen Suizidversuch, stimmt nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall, es verhindert Schlimmeres, weil es den Druck abbaut und die völlige Kurzschlusshandlung verhindert.>
Allerdings kann dieses Verhalten auch zur Sucht werden und der einzige Weg sein Gefühle zu kontrollieren und schwierige Situationen zu lösen, weil es so gut wirkt und im Vergleich zur Bulimie, spottbillig ist! Da wieder raus zu kommen ist verdammt schwer, ein langer Weg und von vielen Rückfällen begleitet.>>
Ich weiß, das Thema SVV ist kein einfaches und geht völlig an die Substanz, vor allem bei Freunden und Angehörigen, trotzdem war es mir sehr wichtig auch mal über dieses schwierige Thema etwas ausführlicher zu schreiben, auch wenn mir dies nicht leicht gefallen ist. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich überhaupt darüber schreiben soll und wenn, wie ich den Text aufbaue und gestalte. Es ist auch für mich kein leichtes Thema über das zu sprechen/schreiben, für mich einfach ist, deshalb oben auch die Triggerwarnung>
Jedoch gehört es zu mir, genau wie die Narben auf meinen Armen, die nie wieder vollkommen weggehen werden, auch wenn sie mittlerweile zum Glück schon sehr verblasst sind.
Es war für eine lange Zeit ein Überlebensmechanismus und auch eine Hilfe, um mit mir und meinem Leben klar zu kommen, um meine Gefühle auszuhalten und eine gewisse Impulskontrolle zu haben, so krass sich das jetzt auch anhört und auch war.
Allerdings versuche ich sie mittlerweile als eine Art Mahnung oder Erinnerung zu sehen, an etwas, wo ich nie wieder hin will und was ich mir nie wieder antun möchte. Sie stehen aber auch für den langen Weg, welchen ich hinter mir habe, was ich alles verändert und wo ich mittlerweile stehe.
Ich hoffe sehr mit meinem Text ein bisschen Aufklärung und Verständnis für Betroffene geschaffen zu haben oder das dieses Thema überhaupt mal wahrgenommen wird und in den Fokus rückt. Über SVV existieren so viele Vorurteile und seidenes Halbwissen, die Betroffenen werden so schnell abgestempelt und stigmatisiert, wie bei wenigen anderen Auswirkungen von psychischen Erkrankungen.
Ich habe die Hoffnung, dass über psychische Erkrankungen zu reden oder davon betroffen zu sein, so normal wird wie ein Beinbruch, Krebs oder jede andere Krankheit!
2 Comments
Wolfgang
Hallo Holger,
ich muss sagen, ich kann das alles gut nachvollziehen. Ob ich alles verstehen kann, daran zweifle ich. Denn ich merke auch bei mir ständig, wie sich meine Ummelt, meine Mitmenschen, Freunde und Familie bemühen, mich zu verstehen, doch es gelingt nur selten. Böse bin ich ihnen deshalb nicht, weil ich mich ja selbst kaum verstehen kann.
Ein Beispiel,
Vorgestern war bei uns tolles Wetter und ich war mit dem Hund raus. Danach wollte ich eine runde mit dem Mountainbike drehen. Zu Hause angekommen trommelten 1000 Fragen durch mein Kopf. Welche Hose ziehst du an, welches Trikot wärmt dich am besten. Schal und Mütze unter dem Helm, ja oder nein. Trinkflaschen MUSST du mitnehmen. Allein dieses machen müssten war mir schon fast zu viel. Und wo fährst du am besten lang. Es ist matschig im Wald – soll ich überhaupt fahren usw, usw. usw….
Letzlich sind es knapp 60 km geworden und danach war ich zufrieden mit mir und froh, dass ich das doch gemacht habe. Seltsamer weise war nach 2 Min. auf dem Fahrrad alles verschwunden. Doch der Weg dort hin ist unendlich lang. jedenfalls kommt es mir so vor.
Und das ist ja nicht nur beim Radfahen so, wem erzähle ich das. Immer und überall Fragen über Fragen. Ob nützlich oder unnütz, egal, sie zermürben machen träge, müde, ängstlich, führen zu Stimmungsschwankungen und am liebsten würde man sich verkriechen oder weg laufen. Bei mir eher letzteres. Manchmal habe ich das Gefühl, mein ganzes Leben besteht aus Flucht.
Und wenn ich frage, wie es dir geht, dann will ich niemand kontrollieren oder dich zwingen. Wenn du dann schweigst, ist das Aussage genug. Und vor allem, es ist von mir ehrlich und aufrichtig gemeint, denn ich weiß genau was es bedeutet, mal einige Stunden Glück und Zufriedenheit erleben zu dürfen. Wie schön wenn man sich dann mitteilen kann und es Menschen gibt, die das ganze nachvollziehen können.
Das nächste Frühjahr wartet schon auf uns, das baut mich immer wieder auf und im Geiste fahre ich schon durch lichtes Grün und trockene Waldböden. Den angenehmen Geruch in der Nase und die wärmende Frühlingssolle auf dem Rücken. Darauf freue ich mich wie ein kleines Kind auf Weihnachten.
Freundlichst Wolfgang
Holger Loosen
Das mit den vielen Fragen oder besser gesagt Zweifeln kenne ich nur zu gut, auch das, wenn ich dann unterwegs bin, eine Sache in die Hand genommen habe und mich dem stelle, alles wie weggeflogen ist und ich nicht wirklich verstehen kann, warum ich mir vorher über alles einen Kopf gemacht habe.
Mir hilft da Planung und Struktur, vor allem aktiv werden ist wichtig und nicht passiv verharren. Mittlerweile weiß ich aber auch sehr oft, dass ich mir und meinen Fähigkeiten vertrauen kann und weiß meine Ressourcen einzusetzen. Dies war viel Übung und ausprobieren.
Allerdings finde ich auch ein wenig blinden Aktionismus wesentlich besser, anstatt wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen.