Vom Enderttal und dem Leben in “Boxen”
Der Beitragstitel klingt wahrscheinlich etwas merkwürdig und weicht auch von dem ab, worüber ich eigentlich schreiben wollte, meinem Ausflug ins Enderttal. Er ist auch persönlicher und kritischer geworden wie sonst, aber mal der Reihe nach von vorne:
Am heutigen Tag stand eine schöne, lange Moutainbiketour auf meinem Programm. Das Enderttal bis Ulmen zu Ende scouten, denn dort hatte ich etwas am Track für den Eifel Graveller umgeplant. Mich durch die Eifel zurück an die Mosel durchschlagen und unterwegs noch Kuchen & Kaffee, so war mein Plan. Denn ein bisschen alleine in der Natur sein und mich Auspowern hatte ich dringend nötig, nach dieser für mich sehr anstrengenden Woche!
Beim Fahrradfahren und Unterwegs sein kann ich sehr gut konstruktiv und nach vorne denken. Es hilft mir sehr mich zu grounden, mich zu spüren und eins mit mir und der Welt zu sein oder wieder zu werden. Denn ansonsten neige ich doch (leider) zu eher negativem, ängstlichem und grüblerischem Denken, wie ich gestehen muss.
Aus gesundheitlichen Gründen, habe ich den Job innerhalb des Unternehmens gewechselt, bei dem ich beschäftigt bin. Zur Einarbeitung in meine neue Tätigkeit, stand für die ersten beiden Wochen, ein Aufenthalt in Frankfurt bei meiner neuen Dienststelle auf dem Programm. Die erste Woche brachte viele neue Menschen, Begegnungen, Eindrücke und Herausforderungen für mich mit. Emotional gesehen hat sie mir ganz schön zugesetzt, mich an meine Grenzen gebracht und an paar meiner Fronten musste ich ganz schön kämpfen. Auch 5 Tage am Stück kein Fahrradfahren, ich kann mich gar nicht erinnern, wann es das zuletzt gab.
Deshalb wurde von mir am Samstagmorgen, direkt nach dem Frühstück, das Fahrrad fertig gemacht und alle Sachen zusammen gepackt. Wirklich warm war es zwar draußen nicht, geregnet hatte es auch etliche Liter und ein fauler Tag auf der Couch wäre auch reizvoll gewesen. Allerdings sollte der innere Schweinehund heute nicht gewinnen. Den ich wusste, mir würde die Natur, mit ihren Gerüchen und Geräuschen sehr gut tun und der von mir oben schon erwähnte, positive Effekt für mich einsetzen.
Also ab auf auf mein MTB und raus! Die Strecke hatte ich so gewählt, dass ich sofort in Klotten ins Kaderbachtal einsteigen, hinauf in die Eifel und wieder runter ins Enderttal fahren konnte.
Das Enderttal gehört zu einem traumschönen Tal, welches von Cochem bis nach Ulmen führt. Es geht über viele Brücken, schmale Wege, kleine Klettersteige durch eine wunderschöne unberührte und wilde Natur. Vorbei an alten Mühlen, dem Kloster Martental und dem großen Wasserfall. Über das Enderttal hatte ich in einem anderen Blogbeitrag (Zur Eröffnung des Bikestores nach Kaiseresch) schon mal etwas geschrieben.
Dieses mal bin ich allerdings von einem anderen Punkt aus ins Enderttal eingestiegen. Über Greimersburg kommend, hinunter zur Browelsmühle und dann sollte es hoch bis nach Ulmen gehen. Leider musste ich auf den Höhen der Eifel feststellen, dass noch überall Schnee lag und sich darunter an vielen Stellen eine Eisschicht befand. An der Mosel waren Plusgrade angesagt und kein Stückchen Schnee mehr weit und breit. Auch meine Bereifung, hinten einen abgefahrenen Smart Sam, hätte ich besser ein bisschen anders gewählt für diese Sorte Untergrund. Deshalb gab ich meinen Plan bis nach Ulmen zu fahren auf und bin vom Endertal ins Kaulenbachtal abgebogen.
Dort führt der Schiefergruben Wanderweg, welcher in der Nähe der Ortschaften Laubach, Müllenbach und Laienkaul verläuft, auf 14 km durch das Kaulenbachtal. Das Highlight des Wanderweges ist die Schiefergrube Höllenpforte. Dort gibt es riesige Schieferabraumhalden, alte Grubeneingänge und verfallende Gebäudereste. An diesem Tag war alles noch zusätzlich mit einer dicken Schicht Schnee bedeckt, welcher das Areal nochmal in einem völlig anderem Bild erscheinen ließ.
Hinter Leienkaul ging es, unter der Autobahn durch, Richtung Masburg weiter. Noch eine kleine Schleife nach Kaiseresesch und ich bekam auch endlich meinen Kaffee und Kuchen. Mittlerweile war ich an einigen Stellen doch ganz schon durchgeweicht, brauchte mal etwas zum Verbrennen und Aufwärmen kam auch gut. Nachdem ich mich wieder auf mein Fahrrad geschwungen hatte, ging es durch das Pommerbachtal wieder Richtung Mosel. Über dieses Tal hatte ich auch schon mal in einem anderen Blogbeitrag (Scoutingtour zur Burg Pyrmont) berichtet. Wobei sich das Tal im unteren Teil doch als sehr matschig erwies. Hatte gehofft die Wiesen wären noch ein bisschen gefroren aber da hatte ich mich gründlich getäuscht. Mein MTB war nach kürzester Zeit dermaßen mit Matsch zugesetzt, dass kaum noch die Kette rund ging und die falsche Reifenwahl machte sich auch wieder bemerkbar. Wie ich aussah, nachdem ich zuhause angekommen war, könnt ihr euch wahrscheinlich vorstellen. Wobei eine Waschmaschine und ein Wasserschlauch Wunder bewirken.
Aber um nochmal auf den Titel meines Beitrages zurück zu kommen (Leben in „Boxen“):
Wie ich oben schon erwähnt habe, kann ich beim Radfahren gut Nachdenken, Situationen und Ereignisse „objektiv“ für mich reflektieren. Gerade die letzte Woche in Frankfurt drehte sich während dem Radfahren ständig in meinen Kopf. Was mir in der letzten Woche in Frankfurt vor allem zugesetzt hat, war die Stadt an sich. Die vielen Menschen, das Gewusel auf den Straßen, die vielen Geräusche und der Lärm. Alles dort ist rechteckig und gerade. Die Gebäude, die Straßenzüge, Kreuzungen, die Brücken, die U-Bahn, einfach alles. Die ganze Stadtlandschaft besteht nur aus Beton, Stein und Asphalt. Dies sind alles harte und kalte Materialien. Nichts ist wirklich rund, organisch oder „natürlich“. Und zwei Bäume, welche in einem Innenhof stehen und von einem Betonring eingefasst sind, machen noch keinen Wald und vor allem keine Natur!
Auf mich hat dies alles eine sehr bedrückend und beklemmende Wirkung, es herrscht schnell die totale Reizüberflutung bei mir. Mein Filter zur Abgrenzung gerät da schnell an seine Grenzen und schwappt über.
Vielleicht geht es Menschen, welche sich nur in der Stadt bewegen und dort leben, genau andersherum und sie empfinden die Natur so?
In der Stadt hetzt jeder von Punkt A nach Punkt B, um sich von einer „Box“ in die nächste zu begeben.
Morgens in einem Hotelzimmer oder einem kleinen Appartement aufstehen, die erste Box. Zum Hauptbahnhof, runter in die U Bahn, die nächste Box. Ab ins Büro, wieder eine Box. Dort schaut man dann den ganzen Tag auf den Monitor, was eigentlich auch wieder nur eine Box ist. Zum Feierabend das Ganze wieder in umgekehrter Reihenfolge zurück. Leben und arbeiten in Boxen, welche mit Tunneln verbunden sind!
Ein Bild, welches total in meinem Kopf hängen geblieben ist, sind die Rolltreppen in der U-Bahn. Auf denen fahren die Menschen in Zweierreihen nach oben oder nach unten. Wobei rechts stehen die Menschen und auf der linken Seite wird gelaufen, damit es schneller geht. Diese Szenerie kam mir vor wie aus einem beklemmenden Zukunftsfilm, wo Roboter sich wie Lemminge durch die Welt bewegen.
In der S Bahn ist jeder mit seinem Smartphone beschäftigt. Videos schauen, bei Facebook etwas posten, jemandem bei WhatsApp schreiben oder was auch immer. Wobei ich zugeben muss, ich mache das auch viel zu oft. Ständig am Handy sein und mich mit irgendeinen Social Mediakram beschäftigen, anstatt mal nichts zu tun. Innehalten, Ruhe haben und ein bisschen Achtsam mit mir und meiner Umgebung sein. Ein Punkt an dem ich unbedingt arbeiten muss!
Auch dieser Unterschied zwischen arm und reich auf den Straßen. Viele Menschen die betteln oder am Rande der Gesellschaft leben und einen täglichen Überlebenskampf führen. Auf dem anderen Seite diese riesigen, glitzernden Hochhäuser, diese völlige Dekadenz.
Schneller, höher, weiter wird überall suggeriert. Noch mehr Konsum und sich mit Dingen und Gütern zudröhnen, welche eigentlich niemand braucht. Klar, kann ich mich davon auch nicht völlig freisprechen und biete wohl mehr wie genug Angriffsfläche was diese Themen angeht. Zumindest wird es mir wenigstens ab und zu bewusst, wie ich eigentlich leben möchte. Möglichst einfach, reduziert und frei, so wie beim Bikepacken. Das freie Zeit viel wertvoller ist wie Geld und irgendwelchen Konsum anzuhäufen. Im Hier und Jetzt zu leben, aus der Vergangenheit seine Leeren ziehen, sie aber auch irgendwann mal abhaken. Die Zukunft oder mein Leben möglichst so gestalten, dass ich nichts bereuen muss. Das diese Lebensweisheiten, sehr idealistisch und wohl auch ein bisschen einfach klingen, die Umsetzung sehr schwer bis unmöglich ist, weiß ich auch. Der Trick oder die Kunst ist aber wohl, sich dessen allem bewusst zu sein, ohne zu resignieren oder daran kaputt zu gehen!
Aber um nochmal auf Frankfurt und meine Eindrücke zurück zu kommen, von denen ich doch jetzt ein bisschen abgewichen bin.Überall gibt es auf den Straßen Polizei und Security, sogar im ganz normalen Lebensmittelladen. Etwas das ich so nicht kenne und wo ich wohne auch nicht gibt.
In meinen Augen versuchen sie nur, die beiden „Welten“ fein säuberlich voneinander zu trennen. Das Elend draußen halten, damit die heile Scheinwelt für den Kunden keine Kratzer bekommt. Es könnte ja passieren das Dige hinterfragt oder wahr genommen werden.
Wobei ich mir die Frage stelle, wie lange das noch funktionieren wird, wenn die Schere in unserer Gesellschaft immer weiter auseinander geht? Wir eigentlich an dem Gegenteil arbeiten müssten! Aufeinander zu gehen, den anderen kennen lernen und respektieren, um einen neuen gemeinsamen Konsens zu finden.
Auch die neu aufgebaute Altstadt (eigentlich schon ein Widerspruch in sich), sie wurde historisch getreu und mit alten Bautechniken neu errichtet. Sicherlich ein sehr interessantes Projekt, historisch und kulturell gesehen. Wobei sich über Sinn oder Unsinn doch streiten lässt. Können wir uns in der heutigen Zeit, wo es viel schwerwiegendere Themen zu lösen und anzupacken gilt, solche Projekte leisten? Den dort kann sich kein normal Sterblicher eine Wohnung leisten und fast alles ist nur mit Luxusläden zugepflastert. Auf mich wirkte die neu gebaute Altstadt eher wie Disneyland und hinterließ viele Fragezeichen und Schulterzucken bei mir.
Diese Ambivalenz, welche in dieser Stadt herrscht und für jemanden der dort wohnt wohl völlig normal ist oder sie gar nicht mehr sieht und wahrnimmt, finde ich völlig krass. In so einer Umgebung muss wohl zwangsläufig jeder abstumpfen und ein bisschen verrohen. Sicherlich wird es in anderen Großstädten nicht anderes aussehen und Frankfurt hat bestimmt auch seine schöne Seiten. Für mich wäre es sehr schwierig auf Dauer, in einer solchen Stadt, mein Leben zu führen. Mich abzugrenzen und gut mir umzugehen, würde mir in einer solchen Umgebung sehr schwer fallen.